“Vertrauen gibt es nicht geschenkt – das muss man sich verdienen!”
Diese Worte höre ich sehr oft, besonders nach Konflikten, bei denen es um Lügen und Betrug geht. Der oder die Betrogene meint, dass Vertrauen etwas ist, das die oder der andere wieder aufbauen muss. Absolut nachvollziehbar, schließlich trägt der andere doch die Verantwortung für die Enttäuschung oder sogar tiefe Verletzung, die er verursacht hat. Jeder Mensch hat ein Grundbedürfnis nach Gerechtigkeit, und es wäre doch nur gerecht(fertigt), wenn der andere sich jetzt anstrengen und bemühen, ja vielleicht sogar ein bisschen “büßen” muss. Oder? Schließlich soll er es wieder gut machen.
Doch so funktioniert es leider nicht. Denn mein Vertrauen – wie alle meine Gefühle, Haltungen und Taten – kann ich nur selbst erzeugen und trage die volle Verantwortung dafür. Es ist eine Entscheidung, die nur ich treffen kann und muss. Ist die Lüge und der Betrug aufgedeckt und geklärt (hier empfiehlt sich manchmal eine Klärungshilfe), kann ich mich entscheiden:
Alternative A: Fortführung
Ich entscheide mich, die Beziehung oder die Zusammenarbeit aufrechtzuhalten.
A 1: ohne Vertrauen
Diese Variante sieht dann meist so aus: Ich bin misstrauisch, erwarte und fordere “Beweise” für ein erneutes Vertrauen, richte all meine Aufmerksamkeit auf den Betrug, die Lüge oder die Kränkung. Damit begebe ich mich einerseits in eine Opferrolle, und zerstöre mein Selbstwertgefühl. Andererseits begebe ich mich in ein Miteinander des Misstrauens. Mit dieser Haltung – und das ist wissenschaftlich gut belegt – fördere ich genau das, was ich damit verhindern will – nämlich neue Lügen und Enttäuschungen. Die Erkenntnis, dass unsere Gedanken unsere Haltung und unser Sein bestimmen, ist uralt und finden wir schon im Buddhismus. (Du bist, was du denkst).
Wir nutzen diese Erkenntnis zum Beispiel in der Hypnotherapie – allerdings in positiver Weise! Und damit kommen wir schon zur nächsten Möglichkeit:
A 2: mit Vertrauen
Wenn ich die Beziehung und Zusammenarbeit so fortführen möchte, dass es mir gut damit geht und ich Freude und Erfüllung darin finde, dann gibt es nach meiner Erfahrung nur einen Weg, den ich Präventives Vertrauen nenne. Es ist nicht ganz einfach und ungerechterweise liegt die ganze Arbeit hierfür bei mir. Aber es lohnt sich: Wenn ich präventives Vertrauen schenke, habe ich mein Glück wieder selbst in der Hand. Ich übernehme 100 Prozent Verantwortung für mein Wohlergehen. Ich bin nicht mehr abhängig vom Verhalten des/der Anderen. Präventives Verhalten heißt nicht, die Augen zu verschließen. Vielmehr lenke ich meinen Blick auf mich und mein Wohlergehen. Ich tue das für mich, nicht für den anderen. Und ganz wichtig: Vor dem Prozess muss eine Klärung stehen, bei der alles auf den Tisch kommt und die Wünsche für die künftige Zusammenarbeit / das Zusammenleben genau besprochen werden. (in schweren Konflikten lohnt es sich, einen professionellen Klärungshelfer hinzuzuziehen). Typische Verhaltensweisen: Vergeben, Achtsamkeit, Selbstfürsorge, Großzügigkeit, Großherzigkeit, Hilfsbereitschaft, Geben
Alternative B: Abschied
Ich entscheide mich, die Beziehung oder die Zusammenarbeit zu beenden, weil ich überzeugt bin, dass der andere nicht mehr vertrauenswürdig ist und/oder der Vorfall gegen meine tiefsten Werte verstoßen hat.
B 1: ohne Vertrauen
Wenn ich nun aber beschließe, künftig generell misstrauischer zu sein, nützt mir diese Entscheidung nur leider sehr wenig. Möglicherweise treffe ich sie sogar aus anderen Beweggründen, zum Beispiel um den anderen zu “bestrafen” oder mich in eine “Opferrolle” zu begeben. Damit löse ich mich nur scheinbar von der Verletzung. Ich kultiviere sie in meinem Inneren und vielleicht auch anderen gegenüber. Typische Verhaltensweisen: Nachtreten, Beschweren, Ablenken, Tratschen, Leiden, Selbstmitleid, Klagen, Üble Nachrede
B 1: mit Vertrauen
Ich treffe die Entscheidung, dass der Vorfall zu einer bestimmten Person und zur Vergangenheit gehört und lasse das Geschehen aktiv hinter mir. Auch damit übernehme ich zu 100 Prozent Verantwortung für mein Wohlergehen und begebe mich nicht in eine Opferrolle. Ich gebe weder mir noch dem anderen “Schuld”, sondern gehe davon aus, dass der andere gute Gründe für sein Verhalten hat, die ich nicht gut finden oder auch nur kennen muss. Der Gerechtigkeit mir selbst gegenüber ist Genüge getan, weil ich mich selbst schütze und gut für mich sorge. Durch den vertrauensvollen Abschied tue ich etwas für mich. Typische Verhaltensweisen: Vergeben, Achtsamkeit, Selbstfürsorge, “nach vorn blicken”
von Constanze H. Latussek, Zertifzierte Systemische Beraterin (DGSF)